Mythen und Märchen: Jahreskonzerte 2024

Nicht nur das Wort, sondern auch die Musik kann Geschichten erzählen – von mutigen Helden, Kindheitserinnerungen, gewaltigen Naturlandschaften, düsteren Zeitaltern oder exotischen Ländern. Dieses eindrucksvolle Erlebnis wurde am vergangenen Wochenende den Zuhörerinnen und Zuhörern im ausverkauften Dachauer Schloss zuteil. Unter der Leitung von Michael Meyer präsentierten das Sinfonische Blasorchester sowie die Stadtjugendkapelle und die StadtjugendKIDS am 16. und 17. März 2024 ein anspruchsvolles und unterhaltsames Programm mit dem Motto „Mythen und Märchen“. Moderator Dominik Härtl begleitete das Publikum gewohnt humorvoll und informativ durch beide Konzerte, an deren Ende sich kleine und große Musiker über begeisterte Standing Ovations freuen durften. 

Die erste Vorsitzende Henriette Varga empfing das Publikum am Samstag Abend zunächst mit einer kunstvoll gereimten Begrüßungsrede, bevor die Stadtkapelle Dachau das Konzert mit „The Witch and the Saint“ eröffnete. Geschrieben von Steven Reineke, erzählt das Stück die mittelalterliche Sage von Zwillingsschwestern mit hellseherischen Kräften. Während diese der frommen Helena als göttliche Gabe ausgelegt werden, droht Sibylla deswegen die Verurteilung als Hexe auf dem Scheiterhaufen. Zarte Melodien aus dem Holzregister, grollende Klänge aus dem tiefen Blech und die bewegten Rhythmen des Schlagwerks zeichneten dabei die kontrastreiche Geschichte beider Schwestern, die ein klanggewaltiges und dramatisches Ende nahm. 

Nach diesem furiosen Auftakt machte es sich Dominik Härtl in dem pink-türkisen Ohrensessel bequem, auf den er seine Garderobe an beiden Tagen perfekt abgestimmt hatte. Mit großartiger Erzählerstimme las der Moderator „Szenen aus: Max und Moritz“, dem bekannten Werk von Wilhelm Busch vor, in dem es heftiger zur Sache geht, als das so mancher in Erinnerung hatte. Komponist Mario Bürki stellt in seiner Vertonung der Streiche alle Instrumente einmal solistisch in den Vordergrund, um das Gackern von Witwe Boltes Hühnern, die explodierende Pfeife von Lehrer Lämpel, krabbelndes Ungeziefer im Bett von Onkel Fritz, aber auch die unerbittlich mahlende Mühle, die das Treiben der bösen Buben schlussendlich beendet, hör- und erlebbar zu machen. Die Darbietung des anspruchsvollen Stücks durch das Sinfonische Blasorchester und der Klang von Dominik Härtls Stimme verschmolzen dabei zu einer perfekten Einheit, die bei vielen im Publikum großen Eindruck hinterließ.

Sowohl das letzte Stück vor,  als auch das erste Stück nach der Pause entführten die Zuhörer daraufhin  in die Welt der griechischen Mythologie. Der japanische Komponist Satoshi Yagisawa erzählt in „Perseus“ von den Abenteuern des furchtlosen Halbgottes. Nicht nur thematisch war von turbulenten Kampfszenen bis hin zur träumerischen Romanze alles fürs Ohr geboten – die Musikerinnen und Musiker ließen neben ihren Instrumenten auch ihre Stimmen erklingen und untermalten Teile des Stücks mit gefühlvollem Chorgesang. Ein überraschender und gleichzeitig wunderschöner Effekt, durch den Perseus bestimmt noch etwas tiefer unter die Haut ging. 

Auch Rossano Galante widmet sich in „Lexicon of the Gods“ der griechischen Sagenwelt. Um bei all den Helden und Göttern nicht den Überblick zu verlieren, hat er in drei Sätzen musikalische Portraits von Perseus, Penthos und Zeus gezeichnet. Untermalt von stimmungsvollen Lichtwechseln lies die Stadtkapelle zunächst den Kampf gegen die Medusa als heroisches Thema voller Dynamik erklingen, bevor das Holz den Saal im zweiten Satz mit dem leisen, schmerzlichen Geist der Trauer und der Klage erfüllte. Den Abschluss machte der Blitze schleudernde Göttervater, dessen Kraft und Stärke das Orchester dann wieder zu seiner vollen Klanggewalt mit treibender Rhythmik und energiegeladenen Bläsern anwachsen lies. 

Dass es auch ohne literarische oder filmische Vorlagen mystisch und verzaubernd werden kann, stellte „Alpina Saga“ aus der Feder von Thomas Doss unter Beweis. In seiner leidenschaftlichen Hommage an die Bergwelt kehrt das musikalische Thema in immer neuer Gestalt wieder – mal als unerschütterliche Naturgewalt, dann wieder geheimnisvoll leise und sphärisch. Die Musikerinnen und Musiker ließen so Bilder von durch die Wälder ziehendem Nebel, grünen Almwiesen und Wanderern in schwindelerregenden Höhen vor dem inneren Auge entstehen. Am Ende zelebrierten die Hörner und Euphonien mit Fanfaren den gelungenen Auf- und Abstieg, bevor Dirigent Michael Meyer das Orchester mit bemerkenswerter Souveränität zum triumphalen Schlussakkord führte. 

Zum Abschluss des offiziellen Programms lud die Stadtkapelle mit der Filmmusik aus „Harry Potter und der Feuerkelch“ von Patrick Doyle in die magische Welt des wohl bekanntesten Zauberers unserer Zeit ein. Das Sinfonische Blasorchester schöpfte die emotionale Bandbreite der Geschichte mit seinen Instrumenten kunstvoll aus: Flöten, Klarinetten, tiefes Holz und Hörner transportierten in ruhigen, harmonischen Akkorden die Geborgenheit von Hogwarts in Harrys schönen, unbeschwerten Momenten. Die düsteren, fast beklemmenden Passagen des tiefen Blechs kündigten die bedrohliche Rückkehr von Lord Voldemort an und jagten den Zuhörern kalte Schauer über den Rücken. Doch alles ging gut aus: bei der fröhlich beschwingten Hogwarts-Hymne am Ende des Stücks klatschte das Publikum begeistert mit und bald darauf standen nicht nur die Musikerinnen und Musiker, sondern auch der ganze Saal. Das Publikum überschüttete das Orchester und seinen Dirigenten mit so tosendem Applaus, begeisterten Rufen und Getrampel, dass es zu nicht nur zu einer, sondern gleich mehreren Zugaben kommen konnte. 

Mit dem Publikumsliebling „Around the World in 80 Days“ von Otto M. Schwarz reiste die Stadtkapelle Dachau noch einmal um die Welt, bevor sie ihre Gäste mit drei letzten Rausschmeißern verabschiedete. Die Titelmelodien der Fernsehserien „Die Schlümpfe“, „Pinocchio“ und „Der Pumuckl“ versorgten als finaler Abschluss alle mit guter Laune und einem Ohrwurm für den Nachhauseweg. 

Aber nicht nur das Sinfonische Blasorchester bescherte dem Publikum an diesem Wochenende musikalische Genussmomente – auch die Stadtjugendkapelle und -KIDS stellten in der ersten Konzerthälfte am Sonntag eindrucksvoll ihr Können unter Beweis. Zusammen mit ihrem Dirigenten Michael Meyer schickten sie in „Superspy“ Spezialagenten auf geheime Missionen und entzündeten ein bewegendes „Leuchtfeuer“. Wie die beiden Orchestersprecherinnen Luise Noçon und Paula Egger in ihrer Moderation erzählten, symbolisierte dieses Stück nicht nur die Leuchttürme, die Seefahrern in alten Sagen den Weg weisen, sondern auch die persönlichen Vorbilder, die diese Aufgabe im Alltag der Kinder und Jugendlichen übernehmen.

Wie die Großen bekam auch das Nachwuchsorchester Unterstützung von Dominik Härtl, mit dem es im Wechsel aus Text- und Musikpassagen das Märchen „Das tapfere Schneiderlein“ erzählte. In „Irish Dream“ erweckten die Jungmusikerinnen und -musiker mit verträumten Melodien die grüne Landschaft und die zerklüfteten Küsten der sagenumwobenen Insel zum Leben. Mit der traurigen Sehnsucht nach Familie und Heimat begann zunächst „The Little Magyar“  diese Stimmung hielt jedoch nicht lange an, denn die Stadtjugendkapelle und die StadtjugendKIDS ließen den kleinen Ungar immer ausgelassener und fröhlicher tanzen. So entwickelte sich das Stück zu einem rasanten Czárdás, der dem Publikum begeisterten Applaus entlockte. Mit der Zugabe „Baby Shark“ machte der Nachwuchs noch einmal richtig Stimmung im Saal, bevor nach der Pause das Sinfonische Blasorchester auf der Bühne Platz nahm und den schönen Nachmittag fortführte. 

Wie auch schon am Abend zuvor bedankte sich Henriette Varga am Ende des Konzertes bei allen helfenden Händen hinter den Kulissen, ohne die eine solche Veranstaltung kaum zu stemmen wäre. Die gute Organisation und die ausgezeichnete musikalische Leistung beider Orchester sorgten auch in diesem Jahr wieder für eine überwältigende Resonanz des Publikums, welche die die Musikerinnen und Musiker und Michael Meyer unglaublich stolz machte. So ging das märchenhafte Konzertwochenende voller schöner Momente für den Verein und sein Publikum zu Ende.

Sofia Schmidberger, März 2024